Man sollte meinen, die Aussicht auf ein Erreichen der Vorschlussrunde im Pokalwettbewerb sei das vorherrschende Thema der vergangenen Tage gewesen. Doch eine Szene aus dem Spiel gegen Freiburg diktiert immer noch die Schlagzeilen, wenn es aktuell um Schalke geht: Bordon erzielt ein lupenreines Tor, dem Schiedsrichter Jochen Drees die Anerkennung verweigert.
Von der Sekunde an, als mich im Freiburger Stadion die SMS eines Freundes erreicht hatte, dass Bordons Kopfball ein regulärer Treffer war, graute mir schon wieder vor dem Palaver über das Pro und Contra eines Einsatzes technischer Hilfsmittel im Fußball. Ich wusste nämlich, dass ich mich aufregen würde. Der Anlass wurde mir auch prompt geliefert. „Tor ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“, fühlte sich Andreas Hardt vom SID berufen, in bester Stammtischmanier klugscheißern zu müssen.
Und weil grauzonenbefreite Phrasendrescher nur in den seltensten Fällen die besseren Argumente auf ihrer Seite haben, packt Andreas Hardt gleich noch die Moralkeule aus: Magath habe den Schiedsrichter „diffamiert“, als er von „Amateuren“ sprach. Hingegen sei es gut und richtig gewesen, dass nach Bordons Kopfball nicht auf Tor entschieden wurde. Denn die besondere Leistung unserer Schiedsrichter läge schließlich darin, ähnliche Situationen stets gleich zu beurteilen.
Im Zweifelsfall also gegen den Schützen? Das hätte man einem gewissen Herrn Münch, Schiedsrichterassistent beim Zweitligaspiel zwischen dem MSV Duisburg und FSV Frankfurt wohl etwas deutlicher vermitteln müssen, bevor er einen Lattenabpraller Richtung Strafraumgrenze hinter der Torlinie gesehen haben wollte. Für derlei Szenen bietet der SID-Kommentator aber eine grundsätzliche Lösung an. „Bordon“, so schwadroniert Hardt im selten dämlichen Konjunktiv, „hätte seinen Kopfball ja auch einfach richtig ansetzen können“.
Darauf muss unsereins erstmal kommen! Spieler, Schiedsrichter und Medien als Bestandteile nicht kompatibler Parallelwelten. Menschliches Versagen als bestimmendes Programm eines Milliarden-Euro-Geschäftes. Der Ball war im Tor und der Schiedsrichter hat es nicht gesehen? Kein Problem, einfach weiterspielen und so tun, als gehörten Fehlentscheidungen zur gottgegebenen Urform des wunderbaren Fußballspiels! Wir können uns zwar damit trösten, dass uns im digitalen Zeitalter die wirklichen Wahrheiten spätestens nach deren medialer Aufbereitung ungeschönt präsentiert werden, müssen aber gleichzeitig mit einer willkürlichen Ächtung dieser modernen Technik leben, sobald letztere der Gerechtigkeit dienen könnte.
[editor_rating]1bundesliga-21-211200411[/editor_rating] Für mich grenzt das – mit Verlaub – an Schizophrenie. Es wird alles dafür getan, das Spiel schneller und dynamischer zu machen. Die Modifikationen der Abseits- und Rückpassregel belegen nichts anderes. Selbst das in grauer Vorzeit aus einzelnen Lederstücken zusammengenähte Spielgerät namens Ball, so hört man Torhüter gebetsmühlenartig bei Einführung neuer Modelle stets klagen, soll inzwischen zu einer High-Tech-Kugel mit dem Flugverhalten eines rohen Eies geworden sein. Flatterschüsse hochoffiziell erwünscht. Mehr Spektakel, ohne sich über die Konsequenzen einer geringer werdenden Kontrollierbarkeit hinreichend Gedanken gemacht zu haben.
In diesem Sinne, lieber Marcelo: Hau' das Ding heute Abend nach Möglichkeit so in die Maschen, dass sich das Netz bis zu den unteren Stehplatzrängen ausbeult! Der Schiedsrichter könnte nämlich einen schlechten Tag erwischt haben. Und außerdem hättest du mindestens einen Kommentator glücklich gemacht.